Es war kurz vor achtzehn Uhr, als ich in die Bar tropfte, wo ich ein wenig dem After-Work-Elend beiwohnen wollte. Ich kam nicht dorthin, um meine Sorgen chipmampfend zu vergessen, sondern um mir eine Frage zu beantworten: Wer trinkt warum einen Grasshopper?
Drinnen war es mir zu stickig, draußen war eine Sonne aufgegangen, die sich lange nicht mehr hatte blicken lassen, und ich setzte mich an einen Tisch vor der Tür, auf dem Bürgersteig, am Straßenrand, in Flügelhöhe schicker Autos, darunter zwei schwarze Diplomatenlimousinen, die warm waren und knisterten. Höchstens zwanzig Prozent der vor dicken Cocktailbechern sitzenden Gäste hatten an diesem Tag irgendwo gearbeitet. Da rollte das nächste Auto heran. Umpa umpa umpa. Musik aus einem mindestens fünfzehn Jahre alten silbergraublauen Mercedes-Coupé.
Ich kannte den Typ nicht, der hinter dem Steuer sitzen blieb und seine CDs ordnete, aber man kennt ihn: Mitte vierzig, eher dürr als schlank, zerfurchtes Gesicht, Vokuhila-Haarschnitt, Goldkette, auf der Nasenspitze Sonnenbrille im Lesebrillenformat, Fransen-Wildlederjacke, lila Hose, weiße Socken, Mokassins. Nachdem sich die Beats aus seinem Auto mit denen aus der Bar gut vermischt hatten, verschwand er mit ein paar CDs in der Bar. Im selben Moment, als mir der Grasshopper serviert, ich meine: gereicht wurde, hob sich der Wuschelkopf eines Pekinesen langsam in den Seitenscheibenausschnitt des Mercedes-Coupés hoch, und das Tier schaute die Bargäste an. Ich aber hatte das Gefühl, alle schauten mich an. So sieht also einer aus, der einen Grasshopper trinkt, schienen sie zu denken, dachte ich.
Ich hatte das Gefühl, dass mindestens zwei Dinge zusammengekommen waren, die schon immer zusammengehörten, aber keiner hat es gewusst: Der Grasshopper und der Vokuhila-Pekinesenbesitzer wurden von den After-Work-Darstellern um mich herum gleichermaßen als Exoten beäugt. Was den Grasshopper betraf, hatten sie durchaus Recht. Grüne Crème de Menthe und weiße Crème de Cacao, dazu Sahne. Zuerst sah ich mich in einem Badezimmer, Reinigungsflüssigkeiten vor mir, die eher im untersten Regal versteckt als auf dem Spiegelbord präsentiert werden. Eine Stimme in mir sagte, die Farbe des Grasshoppers ähnele der von Sensodyne Classic. Eine andere Stimme in mir meinte, sie ähnele eher Dentagard. Der Grasshopper wird zügig getrunken, "while he's laughin' at you", wie der Engländer sagt, der dem Getränk gern ein After Eight beilegt. Und der Grasshopper ist geeignet für Menschen, deren Geschmackssinne kollidieren, deren Magennerven rebellieren, wenn sie zum Abschluss eines umfänglichen warmen Mahls ein starrkaltes Dessert zu sich nehmen sollen. Hier hilft der Digestif vielleicht aus einer Klemme.
Digestif, genau, der Grasshopper ist kein Cocktail. Nichts passt also zusammen. Der Grasshopper ist ein Alkoholgetränk für Leute, die eigentlich keinen Alkohol trinken wollen, sondern eher einen Pfefferminztee. Die After-Work-Party war auch nicht mehr, was sie mal gewesen war. Das Hündchen zeigte sich selbstbewusst den Bargästen, die das Kichern darüber vergaßen.
Sein Besitzer trat gebeugt, im Grübelgang, mit einer Kasse in der Hand auf die Straße. Er trug sie zu seinem Mercedes, verstaute sie im Kofferraum, schloss ihn ab und musterte währenddessen seine cocktailschlürfenden Beobachter mit keiner Mimik, mit keiner angedeuteten Bewegung. Er zwinkerte dem in die Diplomatenlimousine huschenden Männlein zu. Aber man sah es nicht. Ihm stand einfach ein weißes Blatt auf dem Gesicht geschrieben. Und mir ein optischer Schrecken nach dem anderen vor Augen. Nichts, aber auch gar nichts passte an diesem späten Nachmittag zusammen, und der Grasshopper war das Getränk dazu.
(c) Bodo Morshäuser